Mit dem Trabbi über die Insel Rügen
Unser Trabbi war nicht leergelaufen, denn es stand die Mutprobe an: Schafft es Alex, der seit rund 30 Jahren einen Führerschein hat, den Trabbi zu fahren? Wie in einer Fahrstunde, ich links, der Fahrlehrer rechts, in dem Fall Michael Dombrowski, schon das Türschließen ist anders. Man kann an der Konstruktion des Trabant nichts ändern, sagt der Autohändler und deswegen steige ich aus dem Pappkarton wieder aus und fahre mit einem Auto westlicher Bauart weiter über die Insel. In Richtung Westen, in das kleine Dorf Gingst. Auf dem winzigen Marktplatz mit bunten Fachwerkhäusern befindet sich der Buchladen von Petra Dittrich, ein Hot-Spot für Leseratten, wie ich merkte.
Auf Rügen gibt es viele Orte, die viele Urlauber vielleicht übersehen. Dazu gehört der Westen von Rügen mit dem schilf-umrandeten Nationalpark Vorpommernsche Boddenlandschaft. Eine Region der Ruhe, aber auch eine Region für den Aktiv-Urlaub: Wandern, Fahrradfahren, Angeln oder Reiten. Das ist die Kulisse, in der Janet Lindemann ihre Bücher schreibt. Sie kommt zwar aus Sellin an der Ostküste, liebt aber auch den Westen, und beschreibt die Welt aus Kinderaugen. Die ersten drei Jahre ihres Lebens hat sie nur Plattdeutsch gesprochen. Erst im Kindergarten lernte Janet das Hochdeutsche. Die Autorin, Verlegerin und Malerin wünscht sich, dass die Inselkinder mehr an die Mundart ihrer Heimat herangeführt werden und für uns sang sie ganz platt und lacht herzerwärmend. Ihre Fröhlichkeit ist ansteckend.
Wenn Sie die Fröhlichkeit von Janet erleben wollen: Im Buchladen in Gingst liest sie ab und zu aus ihren Büchern. Lesungen gibt es auch in der Kulturscheune Vaschvitz und Konzerte erlebt man hier im Westen von Rügen sehr oft vor besonderer Kulisse. In einigen der verträumten alten Backsteinkirchen, gern auch in Gutshöfen von Landow, Gingst, Trent, Schaprode oder Boldevitz.
Wer diese Region auf dem Ruderboot oder auf einem alten Zeesbot erkundet, für den öffnen sich immer wieder auch Einblicke in versteckte Herrenhäuser oder alte Parks, wie zum Beispiel den Park zu Pansewitz. Ein Ort mit Geschichte und Geschichten, wie der Künstler Boris Hruschka mir erzählte. Bei dieser Naturkulisse kann man einfach nur glücklich sein. Ein ruhiger, abgeschiedener Ort, der Park zu Pansewitz. Eine weitere Station auf unserer Rügenreise. Wir machen eine kurze Rast und reisen dann zur Nordspitze dieser Insel. Auch dort erleben wir einen besonderen Ort, zwischen Natur und Kultur.
Ich möchte Ihnen einen besonderen Ort vorstellen, ganz im Norden der Insel, das Helene Weigel Haus. Wenn Sie diesen Namen noch nie gehört haben: Helene Weigel, das war die Frau an der Seite von Bertold Brecht. Eine deutsch-österreichische Schauspielerin, bekannt wurde sie als Intendantin des Berliner Ensembles und als „Mutter Courage“ in Bertolt Brechts“ gleichnamigem Stück.
Dieser Helene Weigel ist ein etwa 200 Jahre altes Fischerhaus in Puttgarten gewidmet. Kurz vor dem Kap Arkona. Eine Oase der Ruhe und Entspannung in den Ritzen und Rillen scheint noch immer der Geist des Berliner Theaters zu leben. Es ist ein winziges Museum, dahinter ein Garten-Cafe, und dort traf ich Marc Hasselmann: Sein Onkel war Ton-Ingenieur am Berliner Ensemble und seine Cousine kaufte das Gebäude und wir stimmen mit Gisela May ein paar Takte aus der Dreigroschenoper an. Marc saß ganz lässig und kurzen Shorts an einem Tisch unter einem schattigen Baum, aß den Streuselkuchen, der nach seinen Worten der beste in ganz Norddeutschland ist, serviert von Kellner Frank. Ein Original, eine Mischung aus Conferencier und Buttler. Aber bitte mit Sahne: Der Tipp für den gepflegten Tee oder Kaffee, das Helene Waigel-Haus. Von da aus sind es nur ein paar Meter bis zu den beiden Leuchttürmen von Kap Arkona, wo man sich vorkommt wie am Ende der Welt.
Wenn man es so sagen kann, dann ist der Königstuhl bei Sassnitz das Wahrzeichen von Rügen. Diese romantische Kreideküste vor der türkisfarbenen Ostsee. Darauf die alten Buchenwälder, das beeindruckt seit jeher Maler, Dichter und Denker. Also tauchen wir tiefer ein. in die Kreide: Das kann man direkt am Kreidekliff tun. Im Nationalpark-Zentrum Königstuhl, mit modernster Technik und Filmen oder sehr wissenschaftlich im Kreidemuseum Gummanz am kleinen Kreidestuhl. Dort hat mich Manfred Kutscher geführt. Sollten Sie am Königstuhl wandern, bitte denken Sie daran, nicht zu weit ans Kliff gehen und gerade nach längerem Regen nicht unbedingt unterhalb des Felsen laufen. Nicht, dass Sie von der Kreide verschüttet werden! Sie können sich viel angenehmer von der Kreide einschließen lassen, bei einer Kreidepackung als Wellnessbehandlung. Ich habe das bei Ruth Bösser getestet. Sie ist die kosmetische Leiterin im Rugard Strandhotel. Sie hat mich mit diesem Kreideschlamm eingeschmiert, dann dick eingepackt in eine Art Folie, mit Wärme und nach einer halben Stunde lag die Kreide wie ein trockener Putz auf meiner Haut. Dann musste ich gut duschen. Man soll, wie es so oft bei solchen Behandlungen heißt, anschließend wie „neugeboren aussehen“.
Angeblich entstand Rügen nämlich durch den lieben Gott. Er hatte noch einen Kleks übrig, schmiss den ins Meer und daraus entstand Rügen. Heute ist dieser große Kleks bequem von Stralsund aus zu erreichen. Entweder mit der Bahn, mit dem Auto über den Rügen-Damm oder die Rügenbrücke. Und sobald man über den Damm ist, ist man in einer ruhigen, grünen Welt, man fährt entlang von Alleen und sieht zunächst verstreut nur einzelne Häuser, bis man Bergen erreicht, und später die Ostseebäder zwischen Binz und Sellin. Und dort in Binz steigen wir aufs Schiff. Auf die Adler Mönchsgut, sie kommt von Sassnitz und nimmt uns mit bis nach Göhren. Vom Schiff aus sieht man die Buchenwälder, später Sellin, das Cliff-Hotel, dass zu DDR-Zeiten für die Partei-Bonzen der SED reserviert war. Am Hafen von Sellin, eine große Taucherglocke, die nach unten fährt, und damit ist man als Besucher unter dem Wasser, sicher ein tolles Erlebnis. Dann ein langer heller Sandstrand, das ist Babe – und an der Seebrücke Göhren legen wir an, auch direkt am hellen Sandstrand. Links ein Beachvolleyball-Platz, wo sich sportliche Jungs mit freiem Oberkörper fit halten und rechts Strandkörbe, wie auch in Binz. Nur ein paar Schritte sind es von der Seebrücke zum Bahnhof, dort wartet der Rasende Roland, so der Spitzname. Es ist die Rügensche Kleinbahn, eine Schmalspurbahn, die wie in guten alten Zeiten von einer Dampflock getrieben wird. Dort auf der Dampflock bin ich mitgefahren, im Führerstand bei Matthias Freitag, dem Lokführer und an seiner Seite der Heizer Steve Brücker, aus Sachsen. Er ist im zweiten Lehrjahr in der Ausbildung zum Lokführer, und musste ziemlich schaufeln, immer wieder Kohle für die Lok. Übrigens, so eine Fahrt auf der Lok kann man auch als Urlauber machen, man muss es nur rechtzeitig buchen. Für Bahnfreaks ist das sicher der schönste Tag auf Rügen.
Wir machen Urlaub in Deutschland, auf der größten Insel unseres Landes, der Insel Rügen. Da müssen wir natürlich auch über einen Ort reden, da sollten gleich 20 Tausend Menschen gleichzeitig Urlaub machen, nach Vorstellung der Nazis. Die Rede ist von der "Kraft-durch-Freude"-Urlaubsfabrik „Prora“, gleich hinter Binz. Fünf Kilometer lang ist diese Beton-Burg. Es ist ein Mammutbau, der nie fertiggestellt wurde. Jahrzehntelang stand diese ganze Beton-Burg leer. Sie begann zu gammeln bis Investoren die Chance witterten, viel Geld zu verdienen. Nun werden aus dieser denkmalgeschützten Anlage, Eigentumswohnungen, teilweise Luxus-Apartments mit Quadratmeterpreisen von bis zu 10.000 Euro. Noch gibt es dort ein sehr interessantes Dokumentations-Zentrum, ob die neuen Eigentümer das erhalten werden, ist unklar.
Von Prora gehen wieder zurück ins mondäne See-Bad Binz. Hier zeigt uns Marita Roy ein paar Schmuckstücke der Bäder-Architektur. Ein Spaziergang durch Binz, das größte Seebad auf der Insel Rügen. Dementsprechend voll ist es da auch, gerade auf der Flanierpromenade nördlich der Seebrücke. Wenn man nach Süden läuft, dort wo wir eben einige der Villen besichtigt hatten, da ist es viel ruhiger und mein Tipp: Wenn Sie die absolute Ruhe haben wollen, Wecker stellen und früh morgens joggen auf der Promenade. Sie werden da nicht so viele Gleichgesinnte treffen.
Save the best for last, könnte man sagen, denn jetzt kommt noch was ganz Ulkiges. Eine Fahrausbildung zum Dumper-Fahrer. Das Fahren auf der so genannten Dreikant-File. Das ist ein altes DDR-Transport-Fahrzeug, eine Art, Riesen-Schubkarre, motorgetrieben. Man rast dann wie ein Irrer über das Feld, also für Männer, die mal die Sau rauslassen wollen. Wäre so ein Dumper-Kurs vielleicht ein gutes Urlaubsgeschenk von den Frauen? Sie müssen dazu in den Westen der Insel fahren, zum Bauernhof Lange, in Lieschow. Thomas Lange ist der Inhaber, auch er lässt gern mal die Sau raus und wir drehen den Dumper, Motor an. Ja, dann war ich dran und habe den Dumper übers Feld gefahren. Das Lenken gar nicht so einfach, aber es hat gereicht fürs Dumper-Diplom und das so genannte Dumper-Öl, eine kleine Flasche Schnaps, die man zur gelungenen Dumper-Prüfung bekommt.